So macht Messtechnik eine 3D-Servopresse noch smarter

2022-09-18 17:37:39 By : Mr. Matteo Yeung

Moderne Produktionssysteme kommen ohne Sensoren längst nicht mehr aus. Das ist auch bei Pressen so. Doch dass da noch mehr herauszuholen ist, beweist ein Spezialist aus dem Elektroniksektor in einem Aufrüstungsprojekt für eine Servopresse aus der Forschung.

Große moderne Pressen haben viele Sensoren, schon weil einzelne Komponenten damit serienmäßig ausgestattet sind. Im Detail weiß man also, was in der Maschine passiert. Was oft fehlt, sind Informationen über das Gesamtgeschehen, wie Lastprofile, Netzqualität, Blind- und Fehlerströme. Mit der richtigen Messtechnik lassen sich diese Größen aber sehr einfach erfassen und analysieren. Das erlaubt nicht nur einen tiefen Einblick ins Geschehen einer Maschine, sondern bringt viele weitere Vorteile, wie folgendes Beispiel zeigt (Bild 1).

Das Prinzip der Presse ist uralt, was etwa römische Weinpressen beweisen. Im Mittelalter diente es dann auch dem Buchdruck. Spätestens mit der Erfindung der Dampfmaschine sind Pressen in der Metallbearbeitung allgegenwärtig. Man sollte meinen, dass so eine ausgereifte Kulturtechnik kaum noch Ansätze für Forschung und Entwicklung bietet. Das Institut für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PtU) an der Technischen Universität Darmstadt beweist aber das Gegenteil. Dort ist nun eine 3D-Servopresse in Betrieb, die Außergewöhnliches leistet! Sie wird von den wissenschaftlichen Mitarbeitern Viktor Arne, Alexander Breunig und Dirk Molitor betreut.

Bei einer klassischen Presse fährt der Stößel in einer linearen Bewegung nach unten. Er soll dabei keinesfalls verkippen. Bei der 3D-Servopresse passiert genau das: Der Stößel hat drei Freiheitsgrade! Zusätzlich zur linearen Bewegung sind nämlich Pitch- und Rollwinkel einstell- und regelbar. Das heißt, sie kann bis 3,5 Grad um die X- und Y-Achse (Bild 1 gelber Bereich und Bild 3) geschwenkt werden, was auch dynamisch während eines Hubs erfolgen kann. Das ist, als ob eine La-ola-Welle über den Stößel läuft. Acht Antriebe sind dafür nötig.

Davon unabhängig ansteuerbar sind drei rotatorisch und zwei translatorisch wirkende Systeme (einige davon in Bild 2). Drei weitere sind nach dem Master-Slave-Konzept gekoppelt. Die Antriebe wirken auf drei Lagerkästen ein. Der Hub entsteht, wenn sich alle drei Abtriebe der einzelnen Lagerkästen parallel in Z-Richtung bewegen. Die drei Exzenterantriebe erreichen insgesamt eine Presskraft von rund 160 Tonnen. Spindelantriebe übernehmen dabei die Kraft- und Wegübersetzung.

Das ist komplex, hat aber Vorteile: Einer der wichtigsten ist, dass die Presse während eines Hubs auf Störgrößen im Material reagieren kann. Denn auch bei hochwertigem Bandmaterial können verschiedene Chargen geringfügig unterschiedliche Eigenschaften haben. Selbst innerhalb eines Coils gibt es lokale Inhomogenitäten von den Rändern zur Mitte, oder auch über die Länge.

Molitor erläutert: „Wir wollen Bauteileigenschaften regeln, die maßgeblich von den Eigenschaften der Halbzeuge bestimmt werden. Diese zu detektieren, ist ein großes Thema in der Produktionstechnik. Denn sie sind ein Hauptgrund für Ausschuss.“ Speziell weil eine so komplexe Kinematik in der Presse arbeitet und Kräfte an unterschiedlichen Orten aufgenommen werden können, kann man auch Kraftangriffspunkte bestimmen. Diese korrelieren mit den Halbzeugeigenschaften, wie etwa Festigkeitswerten, die inhomogen sein können. „Wenn wir während einer linearen Bewegung in der Kraftsensorik detektieren, dass eine Seite des Getriebes mehr belastet ist als die andere, können wir das auf Halbzeugeigenschaften zurückführen“, präzisiert Molitor. Durch Verkippung des Stößels kann man diese Störgrößen ausregeln und so den Kraftangriffspunkt wieder zentrieren. Zukünftig wollen die Forscher sogar die Halbzeugeigenschaften innerhalb des Prozesses identifizieren, ohne vorab etwas über das Material zu wissen.

Eine weitere Anwendung ist die Massivumformung mit verschiedenen Taumelbewegungen der „La-ola-Welle“. Grundsätzlich ist es aber auch mit rein linearen Pressen möglich, einen massiven Block zu bearbeiten. Doch ist der Kraftaufwand dann ungleich höher. Eine alltägliche Aufgabe soll das verdeutlichen: das Wiederverschließen einer Farbdose. Ein durchschnittlich gebauter Mensch hat nämlich meist nicht genügend Kraft, um den stramm sitzenden Deckel in einem Hub auf die Dose zu drücken. Setzt er jedoch am Rand an, kann er den Deckel Stück für Stück in Position pressen – das geht leichter und braucht kein Werkzeug, kostet nur etwas Zeit.

Auf die 3D-Servopresse übertragen heißt dies, dass viel weniger Presskraft nötig ist. Sie kann also leichter gebaut werden und mit sparsameren Antrieben arbeiten.

Auch neuartige Prozesse sind so möglich, wie das sogenannte Stanzlochwalzen. Dabei wird ein Loch im Material konventionell gestanzt und anschließend per Taumelbewegung aufgeweitet. Mit üblichen Pressen wäre das nur mit aktorisierten Werkzeugen oder mehrstufigen Verfahren möglich.

Bis zur Serienreife werden jedoch noch viele Jahre vergehen. Selbst dann werden lineare Pressen noch die Großserienfertigung dominieren. Es gibt aber vielversprechende Anwendungen. Dazu Molitor: „Wir erforschen erst die Grundlagen. Maschinen mit so großen Freiheitsgraden dürften jedoch immer stärker nachgefragt werden, weil die Produkte immer individueller werden und zur Losgröße 1 tendieren.“ Wenn die Forscher die Prozesse deutlich flexibler und wirtschaftlicher gestalten können, wird die Industrie interessiert sein, glaubt der Spezialist.

Natürlich beinhaltet die 3D-Servopresse eine umfassende Sensorik, sonst wäre es unmöglich, die dynamischen Prozesse zu regeln. Was, wie eingangs schon erwähnt, fehlte, waren Informationen über grundlegende elektrische Werte, wie über den Stromverbrauch. Dafür sollte die Stromversorgung mit einem Messgerät von Janitza ausgestattet werden. Die Idee war es Leistungsdaten zu messen. Etwa, wie hoch die Ströme sind beziehungsweise wie hoch sie im Maximalfall sein können. Außerdem werden noch der Leistungsfaktor und die Blindströme erfasst.

Mit den Messgeräten ist ohne großen Aufwand noch viel mehr möglich. So kann man sowohl eine Differenzstromüberwachung durchführen als auch die Netzqualität im Auge behalten. Das ist bei der Presse schon deshalb interessant, weil die Frequenzumrichter für die Antriebe Oberschwingungen erzeugen. Die Experten der TU Darmstadt entschieden sich nun für den Netzanalysator UMG 96-PA (Bild 4). An den Zuleitungen wurden Rogowski-Spulen installiert, die sich auch unter beengten Verhältnissen – und vor allem ohne ein Abklemmen der Leiter – installieren lassen (Bild 5). Die Messdaten vermitteln nun neue, wertvolle Erkenntnisse. Die Leistung direkt an den Antrieben war bekannt, aber der Weg über die dahinter geschalteten Komponenten bis zum Schaltschrank war eine Blackbox. Hier sind Informationen über den Leistungsfaktor und über eine mögliche gegenseitige Beeinflussung der Antriebe entscheidend. Dazu kommen mögliche Einflüsse der Frequenzumrichter durch Ableitströme und Oberschwingungsanteile. Die erweiterte Messtechnik liefert diese Informationen und sorgt so für Transparenz.

Viktor Arne resümiert: „Wir wissen nun, was aus der Leitung kommt und wie gut die Qualität ist. Auch, was der Netzbetreiber liefert, und vor allem was zwischen den Antrieben und dem eigentlichen Prozess passiert.“ Die Messdaten lassen sich sogar mehrfach nutzen, denn außer wissenschaftliche Erkenntnissen zu liefern, sorgen sie auch für eine erhöhte Betriebssicherheit und helfen, Kosten zu sparen.

Und weil für den Betrieb der Pressen dort dieselben Vorschriften wie in der Industrie gelten, bringt die Differenzstromüberwachung durch das UMG Vorteile: Denn die DGUV V3 schreibt eine alle vier Jahre wiederkehrende Prüfung vor. Bei einer kontinuierlichen Differenzstromüberwachung kann mit der Ausrüstung aber die in diesem Rahmen vorgesehene Isolationsmessung entfallen. Das mindert den Aufwand erheblich, werfen die Janitza-Spezialisten ein, weil riesige Kabel und eventuell zusätzliche, empfindliche Elektronik nicht abgeklemmt werden müssen.

Außerdem verbessert sich der Brandschutz. Man verweist etwa auf Fälle, in denen Nagetiere die Kabel angefressen haben. Bei Feuchtigkeit entwickelte sich ein Fehlerstrom, den das Janitza-Messgerät glücklicherweise erfassen konnte und dieses Problem dem Betreiber über eine E-Mail-Funktion signalisierte.

Ein weiterer Pluspunkt des Netzanalysators ist die Möglichkeit zur Netzwerkanbindung. In Kombination mit der Janitza-Software „GridVis“ können die erfassten Daten umfassend ausgewertet und am PC visualisiert werden. Molitor schätzt das: „Wir müssen nicht mehr alles an der Steuerung abgreifen. Wir können im Büro die Messwerte aufnehmen, als csv-Dateien abspeichern und damit Datenanalytik betreiben.“ So werden auch „schleichende Tendenzen“ erkennbar und Gegenmaßnahmen rechtzeitig auslösbar, bevor es zu Ausfällen kommt. Die Abtastfrequenz von 200 Millisekunden liefert ein sehr detailliertes Bild der Prozesse. Die Inbetriebnahme der Messtechnik hatte Alexander Breunig übernommen. Er ist überrascht von der einfachen Bedienbarkeit: „Wir haben das Gerät ziemlich schnell zum Laufen gebracht. Alles ist sehr intuitiv, auch die Schnittstelle zur Software.“ Aber auch ohne PC-Anbindung liefert der Netzanalysator alle relevanten Daten per Display direkt am Schaltschrank.

Zukünftig soll das UMG noch stärker in die Steuerung eingebunden werden (Bild 6). Denn weil die Daten in Echtzeit zur Verfügung stehen, lassen sie sich zur Entscheidungsableitung in der SPS nutzen. Auch für Industrie-4.0-Konzepte wie den digitalen Zwilling sind die Daten nützlich. Die Überwachung der Motorströme gibt etwa Auskunft über das Drehmoment und damit über die gesamte Pressendynamik. So lassen sich Aussagen zu Vorgängen innerhalb des Maschinengetriebes ableiten, die nicht direkt messbar sind. Dazu gehören Gravitations-, Zentrifugal-, Coriolis- und Reibkräfte.

Mit dem Projektfortschritt entstehen so immer weitere Anwendungsmöglichkeiten, die sich auch in puncto Anlagenverfügbarkeit durch Predictive Maintenance und Condition Monitoring auswirken. Der Gesamtnutzen ist noch gar nicht abzuschätzen. Dabei war der Aufwand für die Installation und Inbetriebnahme des Netzanalysators extrem gering.

Denn lediglich in der Schaltschranktür war eine Aussparung auszuschneiden. Für die Montage der Wandler war keinerlei Eingriff in die Verdrahtung nötig. Die Software schließlich ermöglicht die Integration in die Datenanalyse. Alles in allem präsentiert sich das Janitza-System als eine lohnenswerte Investition.

* Dipl.-Phys. Martin Witzsch aus Erlangen ist freier Journalist im Auftrag der Janitza electronics GmbH.

* Weitere Informationen: Janitza electronics GmbH in 35633 Lahnau, Tel. +49 6441 9642-152, info@janitza.de, www.janitza.de.

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