Auf Punktejagd wie vor 60 Jahren und mit uralter Navitechnik

2022-09-11 20:43:14 By : Mr. Daniel Tian

Korntal-Münchingen. Ein unerwartetes Comeback mit Schneefall hatte der Winter Anfang April gefeiert. Aus Sicherheitsgründen wurde die Orientierungsfahrt deshalb abgesagt und in den Spätsommer verlegt – auf den vergangenen Sonntag. Doch die fünfte Strohgäu-Klassik hatte nun mit einem neuen Problem zu kämpfen: „Gerade haben solche Veranstaltungen Hochsaison, einige finden parallel statt und einige Oldie-Besitzer sind noch im Urlaub“, so Günter Haberkern und Oliver Günthner vom württembergischen Sportfahrer-Club Gerlingen-Ditzingen über die diesmal deutlich geringere Resonanz. Sie wollen deshalb im nächsten Jahr zurück auf den angestammten Platz im Kalender und ins Frühjahr.

Doch ansonsten war vieles wie sonst. Rennleiter Günthner warnt bei der Fahrerbesprechung am sonnigen Sonntagmorgen vor Blitzern und Bikern. „Passt also auf und habt ansonsten Spaß.“ Zwei Etappen hat der Verein ausgeklügelt und in einem Bordbuch festgehalten. Die erste, rund 50 Kilometer lang, führt von Münchingen aus durchs Strohgäu und den Altkreis Leonberg, die zweite in das Gebiet rund um den Stromberg, knapp 100 Kilometer ist sie lang. Dazwischen liegen ein paar Zeitprüfungen, in denen gewisse Strecken möglichst in exakter Zeit gefahren werden müssen. Wer hier patzt, kassiert die meisten Strafpunkte. Auf den Strecken sind Tafeln mit Ziffern und Buchstaben gesteckt. Sie müssen in der richtigen Reihenfolge notiert werden – eine Art „Oldtimer-Bingo“.

Bei so einer Ausfahrt hat ausnahmsweise der Beifahrer das Sagen und das letzte Wort. Wie der Klosterbruder aus dem Brevier liest er aus dem Bordbuch: „Nach der Ampel 650 Meter geradeaus, dann rechts. Im Kreisverkehr zweite Ausfahrt und dann sofort wieder links.“ Es klingt wie ein analoges Navi ohne alle Straßennamen oder jegliche Ortsangaben. Wehe, wer sich dabei verfranzt und einen neuen Einstieg in die Tour finden muss. Außerdem hat der Sozius die Stoppuhr im Blick, späht nach Zahlen und Buchstaben.

Kay vertraut seiner Gattin Susanne blind, die beiden fahren den ältesten Oldtimer der Tour: einen Triumph TR3A aus dem Jahr 1960 in klassischem „British Racing Green“. 100 PS klingen nach wenig, aber das relativiert sich bei einem Fliegengewicht von nur 950 Kilogramm. Außerdem liegt er wegen seines tiefen Schwerpunkts wie ein Brett auf der Straße. Die Fahrkultur bezeichnet der 66-Jährige als „englisch rustikal“. Sein zweites Fahrzeug am Start ist ein Porsche 911SC Cabrio, erst knapp 40 Jahre alt und damit eine andere Generation. „Der ist dann bequem deutsch.“ Ihn steuert der Schwiegersohn in spe, Jan, angeleitet von Tochter Verena. Ein Familienduell um die Pokale also.

Nein, er hatte noch nie einen Fuchsschwanz an der Antenne, sagt Wolfgang (57). Und das obwohl er seit 32 Jahren Opel Manta fährt, mittlerweile seinen dritten. Der aktuelle ist in MonacoBlaumetallic. Von dem werde er sich nie trennen, obwohl er schon Angebote hatte, sagt „Blitz-Freak“, der auch im Zivilleben die Rüsselsheimer Marke bevorzugt. „Früher wurden über Fahrer und Auto Witze gerissen, heute werden wir bewundert.“ Ähnlich wird es Oliver und Markus mit ihrem Ford Capri gehen.

Das Lächeln vom Straßenrand genießt auch Simone. Sie lotst ihren Mann Thorsten im Ford F100 aus dem Jahr 1965, ein amerikanischer Pick-up-Traum in Creme und Babyblau mit Weißwand-Reifen. Mit fünf Metern Länge ist es die kurze Version und mit 210 PS aus acht Zylindern mit knapp sechs Litern Hubraum auch nur ein „small block“, also die kleine Maschine. Die Pferdchen lässt Thorsten aber nie ganz vom Zügel. Er liebt es, zu cruisen und das sonore Blubbern des Motors zu hören. Bei der Strohgäu-Klassik hat er aber einen Zusatzjob: Er muss die Tankuhr im Blick behalten. Bei einem Durst von 25 bis 30 Litern auf 100 Kilometer könnte das mit „nur“ einer Tankfüllung eng werden. „Vielleicht brauche ich zur Mittagspause einen Boxenstopp.“

Vater Burkhard und Sohn Sebastian sind mit dem Porsche 964 erstmals bei so einer Rallye dabei. Ihre Bibel des Tages, das Bordbuch, liest sich in ihren Augen daher noch etwa kryptisch. Aber unter den Oldtimer-Fahrern gibt es ja erfahrene Hasen und in der Szene auch wertvolle Tipps.