Eine Nachtschicht auf der A-7-Baustelle - Hamburger Abendblatt

2022-09-11 20:41:23 By : Mr. MingKang Jiang

Zentimeter für Zentimeter kriecht das schwere Straßenbaugerät weiter. Die Bagger verteilen den Beton auf dem Untergrund, dann walzt der Betonfertiger die neue Fahrbahndecke platt. Als nächstes ist der Abschnitt rund um Neumünster dran

Foto: Marcelo Hernandez / HA

Zu Besuch in einer Welt zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen. Heute: Wo riesige Mengen Beton Fahrbahn werden.

Hamburg.  Reden wird auch überbewertet. Auf der riesigen Maschine ist es so laut, dass man sowieso nichts versteht. Valentin Riske hat Stöpsel in den Ohren. Wenn er etwas von seinen Kollegen will, macht er Zeichen mit den Händen. Der Mittvierziger, T-Shirt, Signalweste, Arbeitsschuhe, steht auf einem schmalen Gang gut zwei Meter über dem Boden. Ein bisschen wie der Kapitän auf einer Schiffsbrücke. Nur dass unter ihm kein Wasser ist, sondern Beton.

Immer wenn das Förderband eine neue Fuhre hinklatscht, muss er mit seinem Verteilerschwert dafür sorgen, dass diese gleichmäßig über eine knapp 15 Meter breite Fläche verteilt wird. Am Ende wird der Brei mal eine Autobahn, auf der jeden Tag knapp 70.000 Fahrzeuge brettern. Da muss die Oberfläche natürlich glatt und vor allem belastbar sein. „Es sieht einfach aus, aber ich muss sehr konzentriert sein“, sagt der Bauarbeiter mit Wurzeln in Kasachstan. Seine Ohrstöpsel nimmt er jetzt raus. Der Stahlkoloss ist stehen geblieben.

Plötzlich ist es fast still auf der Baustelle der A 7 – wenige Kilometer nördlich der Landesgrenze zu Hamburg. Zwischen dem Dreieck Nordwest und dem schleswig-holsteinischen Bordesholm wird die Fahrbahn in jede Richtung um eine Spur verbreitert. Jetzt geht es um die letzte Schicht, die Fahrbahndecke. Einsatz für den Betonfertiger, so nennt man das monströse Baufahrzeug, das sich mit seiner Besatzung seit ein paar Stunden unablässig von Süden nach Norden schiebt. Zentimeter für Zentimeter. Man versteht, warum Straßenbau als besonders harter Job gilt. Die kurze Unterbrechung ist eine Chance, Kraft zu schöpfen.

Die Männer stehen beieinander, einige zünden sich eine Zigarette an. Es ist kurz vor 2 Uhr, die Nachschicht dauert noch bis 7 Uhr. Zwölf Stunden waren es dann insgesamt. Geredet wird kaum, auch wenn der Koloss schweigt. Riske, der Mann am Verteilerschwert für den Oberbeton, ist einer der wenigen, der Deutsch spricht. Kroatisch, Polnisch, Russisch, ein bisschen Englisch. Es herrscht ein fast babylonisches Sprachengewirr. Aber die Arbeit in der Baukolonne läuft reibungslos. Die Männer verstehen sich ohne Worte.

Bis Ende 2018 sollen die fehlenden Bauabschnitte zwischen dem Rastplatz Bönning-stedt und Quickborn, zwischen Kaltenkirchen und Bad Bramstedt und rund um Neumünster fertig werden. Die Arbeiten hatten Mitte Juni ein paar Tage später als geplant begonnen. „Aber wir sind mit dem Betonfertiger gut im Plan“, sagt Ludger Punsmann, Gesamtprojektleiter Streckenbau für die so genannte Arge A 7. Dahinter stecken die Baufirmen Hochtief, Kemna und Tesch, die seit 2014 für das Baukonsortium Via Solutions Nord die Autobahn bauen. Punsmann, ein bärtiger 52-Jähriger mit dem weichen Tonfall des Ruhrpotts und goldenem Anhänger um den Hals, ist für Zeit- und Arbeitsabläufe an der 65 Kilometer langen Strecke zuständig. Eigentlich arbeitet er tagsüber, aber zu Beginn der Nacht kommt er oft auf der Baustelle vorbei. Nach dem Rechten schauen.

Melden Sie sich jetzt zum kostenlosen täglichen Newsletter der Chefredaktion an

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

In der Schicht arbeiten 100 Leute, mit ganz wenigen Ausnahmen nur Männer. Der Betonfertiger ist rund um die Uhr im Einsatz. Von fern sieht die Spezialmaschine mit ihren grellen Flutlichtern, den hohen Stahlaufbauten, dicken Stromkabeln und schwerem Raupenantrieb unwirklich aus im Dämmerlicht der einbrechenden Nacht, aus der Zeit gefallen. So hätten Maler früherer Jahrhunderte die Vision eines apokalyptischen Industriemolochs darstellen können.

Etwa 80 Zentimeter schafft der Koloss in der Minute, gut 1000 Meter innerhalb von 24 Stunden. Für ein sechs Kilometer langes Autobahnstück veranschlagen die Planer sechs Tage. Wenn alles glatt läuft. Denn damit der Fertiger arbeiten kann, muss ständig frischer Beton angeliefert werden. 40 Lastwagen sind in dieser Nacht im Einsatz. 3200 Kubikmeter Beton werden in 24 Stunden verbaut, damit könnte man ein Olympia-Schwimmbecken füllen. Nun stockt es.

Udo Wahl lenkt seinen Sattelzug wie andere einen Kleinwagen. „Da machen gerade wohl einige Pause“, sagt der 58-Jährige aus dem Erzgebirge, der schon in der DDR Brummifahrer war. Jetzt ist er mit seinem 25-Tonner wieder Richtung Betonmischwerk unterwegs. Hinter der Windschutzscheibe steht ein Schild mit seinem Spitznamen „Opa Udo“ und ein großes U. „Das bedeutet, dass ich Unterbeton fahre“, sagt Wahl, der für eine sächsische Transportfirma arbeitet. Er mag seinen Job, auch wenn ihm die Nächte manchmal lang werden. „Immerhin ist weniger Verkehr auf den Straßen“, brummt er und rangiert den Sattelzug unter den Betonmischer. Im Minutentakt werden in der mobilen Anlage Zement, Wasser sowie Kies, Sand und Splitt mit verschiedenen Körnungen computergesteuert gemischt. Der Unterbeton ist etwas gröber.

Eine Hupe hallt durch die Nacht. Wahl ist nun dran. Elf Kubikmeter Beton rauschen auf den Kipper. Dann hupt es wieder, und er fährt Richtung Betonfertiger. Es ist seine sechste Fuhre in dieser Schicht, jedes Mal 20 Kilometer. Es ist auch ein Fahren gegen die Zeit. 90 Minuten nach Mischbeginn lässt sich der Beton verarbeiten. Je nach Wetter kann die Spanne deutlich kürzer sein. Die schlimmste Folge: Er wird hart. Da sind schnell 1000 Euro in den Sand gesetzt. „Hier klappt das gut“, sagt Wahl. Über ein Vlies, mit dem der Unterbau der Strecke geschützt ist, steuert er seinem Laster auf der Trasse in entgegengesetzter Richtung zur Baustelle.

Seit vier Jahren ist die A 7 zwischen Hamburg und dem Autobahn-Dreieck Bordesholm Dauerbaustelle. Jetzt geht das Zwei-Milliarden-Projekt in die Endphase. Bis Jahresende muss das private Konsortium Via Solutions Nord den sechsspurigen Ausbau der Strecke abgeschlossen haben, um den Vertrag mit dem Bund zu erfüllen. Andernfalls drohen hohe Vertragsstrafen. Bekannt ist, dass pro Verspätungstag 55.000 Euro fällig werden – gedeckelt auf maximal 20 Millionen Euro. Der Zeitplan ist aus Sicht von Experten „knapp bemessen“. Schon jetzt ist klar, dass der Deckel in Schnelsen erst im zweiten Halbjahr 2019 fertig wird. Der A-7-Ausbau ist nach dem Verfügbarkeitsmodell vergeben worden. Via Solutions Nord verantwortet somit nicht nur den Bau, sondern ist auch 30 Jahre für Betrieb und Instandhaltung verantwortlich. Auch deshalb setzt das Konsortium vor allem haltbareren Beton als Oberflächenbelag ein.

Die Wettervorhersage gefällt Hero Sauer gar nicht. Er ist in dieser Nacht als Bauleiter im Einsatz. Und wenn etwas nicht gut ist für Betonbau, dann ist es Regen. „Da muss man eventuell bei der Rezeptur im Mischwerk gegensteuern“, sagt der 64-Jährige aus der Gegend bei Schwerin, der seit 47 Jahren in dem Job arbeitet. Jede Stunde nimmt ein Baustoffprüfer Proben des Betons. Temperatur, Wasser- und Luftporengehalt müssen laufend gemessen werden. Auch das Labor ist die ganze Nacht besetzt. Nach einem Regenguss am früheren Abend ist es jetzt trocken. Immerhin. Trotzdem waren die Messwerte im unteren Toleranzbereich. Bauleiter Sauer wirkt ein wenig gehetzt. Es geht um die Druckfestigkeit des Betons. Dazu kommt alles andere, was er auf einer so komplexen Baustelle im Blick haben muss.

Gerade hat Lastwagenfahrer Udo Wahl an der Wendestelle gedreht, hat sein Fahrzeug im Rückwärtsgang vor die Mini-Fabrik manövriert, um seine Ladung Unterbeton abzukippen. Der Nächste steht schon hinter ihm. Inzwischen läuft die Maschine nach der Zwangspause wieder. „Wir mussten stoppen, weil die Beton-Laster nicht kamen“, erklärt Einbauleiter Zvanko Cupelt. Wie Fahrer Wahl vermutet hatte, viele hatten gleichzeitig ihre vorgeschriebene Pause gemacht. Jetzt sitzen auch die Baggerfahrer wieder an ihrem Platz und schaufeln den Beton an die richtige Stelle für die Verarbeitung. Der Unterbeton macht zwei Drittel der Fahrbahndecke aus. Der Ablauf normalisiert sich. Auf Cupelts Tablet sieht man, dass aktuell 83 Kubikmeter Beton auf Lastern geladen sind. Der nächste kommt in neun Minuten.

Mit einem Eigengewicht von 132 Tonnen walzt der Fertiger über den Unterbeton, verdichtet ihn zu einer Schicht von etwa 22,5 Zentimetern. Insgesamt wird die Fahrbahndecke letztlich knapp 30 Zentimeter hoch sein. Richtung und Höhe werden von Sensoren entlang eines sogenannten Fahrdrahts gesteuert. In regelmäßigen Abständen fallen Eisenstäbe, die auch Dübel genannt werden, aus einem Rüttler, die später spannungsfreie Bewegungen der Platten ermöglichen. Zur Überwachung stehen mehrere Bauarbeiter in der Mitte des Betonfertigers, hinterlassen ihre Spuren in dem feuchten Beton. Dann kommt mit gut zehn Metern Abstand die Oberbeton-Brücke mit Valentin Riske am Steuer, die eine etwa sechs Zentimeter dicke Schicht einbaut und die mit einem überdimensionierten Scheibenwischer, dem sogenannten Smoother, geglättet wird.

Vorarbeiter Nedeljko Pecek steht am Rand und kontrolliert die Höhe der Fahrbahndecke. Der Kroate gehört wie alle anderen Arbeiter auf dem Fertiger zu einer festen Mannschaft. „Wir sind alle eine Familie hier“, sagt er. Warum kommen so viele aus osteuropäischen Ländern? „Wer will das denn sonst machen?“, sagt er und zuckt die Achseln. Dahinter glätten zwei Männer an der Kante kleinere Fehlstellen mit einer Kelle. Ein weiterer markiert mit Prägeeisen vom Fahrbahnrand alle fünf Meter die Kilome­trierung – sauber angezeichnet mit einem Zollstock per Hand, damit die Zahlen auch gerade sind. Was für ein Gegensatz zu der geballten Kraft der Straßenbaumaschine, die langsam weiterkriecht. Jetzt gilt: Betreten verboten. Da, wo gerade noch der grobe Untergrund der Tragschicht war, liegt jetzt die neue Fahrbahn glatt und glänzend im Mondlicht. Von einer Nachbehandlungsbühne verteilt ein Sprüharm eine Art Zuckerguss, um das Aushärten zu beschleunigen.

Aber die Makellosigkeit ist nur von kurzer Dauer. Ein Zustand, den nur die Kolonne zu sehen bekommt. In einiger Entfernung steht ein kleiner Radlader mit einem großen Stahlbesen, der später die oberste Schicht der Betondecke gründlich abbürsten wird. „So bekommt die Straße schließlich die notwendige Griffigkeit“, erklärt Projektleiter Punsmann. Danach schneidet ein weiteres Spezialfahrzeug Dehnungsfugen in den Beton, zerteilt ihn in fünf mal fünf Meter große Platten. „So wird verhindert, dass das Material unkontrolliert reißt“, sagt der Straßenbauer. Wenn es richtig läuft, können die Platten sich in Länge und Breite ausdehnen. In der Höhe werden sie durch Stahlstangen im Unterbeton gehalten. Es grenzt fast an ein Wunder, wie präzise die Arbeitsschritte ineinandergreifen. Alles muss zu 100 Prozent stimmen. Denn so eine Autobahn ist ein Projekt für die nächsten 50 Jahre.

Die Kolonne zieht weiter. Einen halben Kilometer müssen sie geschafft haben, bis Valentin Riske und seine Kollegen nach Schichtende in einem nahen Hotel in ihre Betten fallen dürfen. Das Hämmern der Maschine in den Ohren, die zum Teil starken Vibrationen in den Knochen. Geredet wird dann nicht. „Es ist ein guter Job“, sagt der Straßenbauer, bevor er seine Ohrstöpsel wieder einsetzt. Wenn es perfekt läuft, ist er in einer Woche für ein paar Tage bei seiner Familie in Bayern. Bevor es wieder losgeht zur nächsten Baustelle.

Nächsten Sonnabend: Nachtschicht im HVV-Bus

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg